05. Oktober 2020

Exklusives Interview im Dela-Magazin

Rainer Wendt: “Beamte arbeiten täglich mit dem Risiko”

Von Stephanie Gasteiger

 

5. Oktober 2020

Pegida, Klimaschutz, Rassismus und Corona. Themen, die die Gesellschaft bewegen und in Folge derer Demonstrationen entstehen. Während die Bürger sich frei für oder gegen eine Teilnahme entscheiden können, hat eine Berufsgruppe keine Wahl: Polizisten. Sie sind rund um die Uhr im Einsatz. Immer vor Ort, um andere zu schützen, begeben sie sich ganz bewusst in eine Risikosituation. Hinzu kommen zunehmend fehlender Respekt im Berufsalltag und Kritik an der Behörde. Ein Resultat Personalmangels und zu vieler Überstunden, die keine Zeit für Reflektion lassen, sagt Rainer Wendt. Im Interview gibt der Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Einblick in den Risikoberuf Polizist.

Redaktion: Die deutsche Polizei hat sich lange einen Ruf als demokratische und bürgernahe Instanz erarbeitet und auch gehalten. In letzter Zeit stehen die Beamten zunehmend in der Kritik. Wie bewerten Sie die derzeitige Entwicklung?

Rainer Wendt: Die derzeitigen Ereignisse haben die Situation nicht leichter gemacht. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die große Masse der Bevölkerung durchaus weiß, dass die meisten Polizistinnen und Polizisten einen anständigen Dienst machen. Und mit beiden Beinen auf dem Boden unserer verfassungsmäßigen Ordnung stehen. Die Polizei selbst hat zudem immer ein Interesse daran, die Dinge gründlich aufzuklären.

Redaktion: Was würden Sie als die größten Risiken bezeichnen, denen Polizisten im Alltag begegnen? Sind diese in der Regel vorhersehbar?

Rainer Wendt: Die Situation hat sich gegenüber früher nicht substantiell verändert. Gewalt gegen Polizeikräfte hat es schon immer gegeben. Aber seit einigen Jahren haben wir eine Statistik – das sogenannte Lagebild. Wir schauen ganz genau hin, zählen die Ereignisse und werten diese aus. Dabei stellen wir fest:

In jedem Jahr gibt es dramatische Zuwachsraten hinsichtlich Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei. Es geht hier allerdings nicht nur um die Polizei. Ebenso um Rettung-, Lehrkräfte oder Zugpersonal. Es ist eine Welle der Gewalt gegen öffentlich Beschäftigte.

Es geht also auch um die Autorität des Staates insgesamt. Die Leute werden durch eine sinkende Hemmschwelle gewaltbereiter. Die größte Gefahr in dieser Situation ist, dass die Gewaltbereitschaft nicht auf wenige Gruppen beschränkt ist. Riskante Situationen entstehen dadurch bei ganz alltäglichem Dienst. Bei Lärmbelästigung oder einer Verkehrskontrolle findet auf einmal Gewalt statt.

Redaktion: Ist das Risiko mit diesem Wissen erst recht unkalkulierbar? Oder stellen sich die Beamten von vorn herein auf riskante Szenarien ein?

Rainer Wendt: Die Polizei gibt sich sehr viel Mühe zur Vorbeugung. Die Ausrüstung ist verbessert, Einsatztechniken optimiert. Auch die Ausbildung wurde verändert und beispielsweise Bodycams eingeführt worden. Alles, um solche Situation leichter beherrschen zu können. Wir wissen durchaus, dass gewisse Maßnahmen dazu führen, dass Gewaltdelikte gar nicht erst stattfinden. In Rheinland-Pfalz haben wir durch die Einführung des Tasers beispielsweise festgestellt, dass die Attacken schon bei der Warnfunktion oft aufhören. Auch das Wissen des Gegenübers, dass sein Handeln vor Gericht auf Video gezeigt werden kann, hemmt die Gewalt. Trotz dieser Maßnahmen ist die Gewalt allerdings unkalkulierbar geworden. Zudem möchten wir ja eine bürgernahe Polizei. Einsatzkräfte wollen im Alltag offen und ungezwungen auf Personen zugehen. Das wird jedoch immer gefährlicher.

Redaktion: Was sind die Voraussetzungen für den Polizeiberuf, um alltäglichen Risiken mental und physisch entgegentreten zu können?

Rainer Wendt: Die Polizei legt bei der Auswahl ihre Personals schon seit vielen Jahren Wert darauf, nicht nur formelle Bildungsstandards einzuhalten. Auch die Anlagen für einige andere Kompetenzen müssen erkennbar sein: Kommunikation, soziale-, psychologische-, pädagogische aber auch interkulturelle Kompetenzen. Diese prüft die Polizei bereits im Einstellungsverfahren ab. Gerade in der heutigen Diskussion wird natürlich darüber diskutiert, ob das entsprechend optimiert werden kann. Ich bin hier offen und dankbar für jeden Vorschlag.

Es wird auch sehr offen darüber gesprochen, dass Handlungen und Einsätze reflektiert werden sollten. Darüber sprechen wir übrigens bereits seit Jahrzehnten.

Gewalterlebnisse im Einsatz müssten in der Einsatznachbereitung besprochen werden. Beispielsweise: Hätte etwas anders oder besser laufen können?

Allerdings, diese Einsatznachbereitung und Reflektion, der Einsatzkräfte selbst fällt weg. Denn: Die sind dann bereits im nächsten Einsatz. Es gibt kein Erkenntnis- sondern ein Vollzugsdefizit. Es gibt zu wenig Einsatzkräfte, um sich zurückzunehmen um zu überlegen, wie die Woche eigentlich gelaufen ist. Gerade bei bestimmten Dienstgruppen, die sich beispielsweise mit extremistischen Gruppen beschäftigen, ist es umso wichtiger sie psychisch zu unterstützen und zu schauen: Was macht das mit den Leuten? Wenn wir Beamte mit Gewalterlebnissen alleine lassen und nach Hause schicken, klären sie es unter sich. Dadurch schaukeln sich die Dinge hoch.

Redaktion: Was wäre die naheliegende Lösung, entsprechendes Defizit zu beheben?

Rainer Wendt: Die Polizei braucht mehr Personal und wir brauchen die Möglichkeit und Zeit Einsatzgeschehen zu reflektieren, anstatt schon in den nächsten Einsatz zu hetzen. Die Dienstgruppen der Polizei befinden sich allerdings in einer Situation, in der sie kaum noch aus den Stiefeln kommen. Es ist im Prinzip ein reines Personalproblem.

Redaktion: An welche riskante Situation erinnern Sie sich aus der eigenen Dienstzeit?

Rainer Wendt: Ich habe viele Jahre lang im Schichtdienst der Duisburger Polizei gearbeitet. Hier gab es einige Dienstunfälle und gefährliche Situationen. Widerstandshandlungen bei Festnahmen oder Attacken, die im Milieu nun einmal so stattfinden. Die Attacken waren aber anders als sie es heute sind. Sie waren eher vorhersehbar. Wenn in der ein- oder anderen Gaststätte Alarm ist, wussten wir, dass wir besser nicht nur mit zwei, sondern sechs Mann anrücken.

Redaktion: Wie sind Polizisten gegen die Risiken im Beruf abgesichert? Gibt es darüber hinaus private Maßnahmen der Beamten?

Rainer Wendt: Unser Schutz ist grundsätzlich sehr stabil. Das heißt bei rechtswidrigen Angriffen, die zur Dienstunfähigkeit führen, erhalten Beamte auch eine entsprechende Pension. Entsprechende Absicherung gibt es bei den Ländern sowie der Bundespolizei. Häufig allein gelassen werden Einsatzkräfte, wenn es darum geht, nach Attacken beispielsweise Schmerzensgeldforderungen einzuklagen. Hier hilft meistens nur die Gewerkschaft. Viele Beamte sorgen daher vor und versichern sich auch privat. Wenn es um die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche der Beamten geht, plädiere ich allerdings in manchen Ländern für mehr Unterstützung.

Redaktion: Ein Risikofaktor ist auch zunehmender Hass, der den Beamten entgegenschlägt. Mit welchem Argument beziehungsweise welchen Maßnahmen treten Sie Kritikern entgegen.

Rainer Wendt: Man darf nicht pauschal von „der Polizei“ sprechen. Ebenso wie von „den Journalisten“ oder „den Flüchtlingen“. Man muss differenzieren. Es hat ganz offensichtlich schlimme Ereignisse gegeben, die meistens die Polizei selbst aufdeckt. Man kann sehen, dass sie selbst ein Interesse daran hat. Ich glaube, das Wichtigste, was die Polizei jetzt tun kann, ist die Dinge aufzuklären und ganz offen beim Namen zu nennen, was hier passiert ist. Zudem ist es entscheidend, ein bundesweites Lagebild zu erstellen. Zu schauen: wo haben sich Verdachtsfälle tatsächlich bestätigt. Mit einem Blick auf den gesamten öffentlichen Dienst – also alle, die beim Staat arbeiten – kann dann geklärt werden, wie Extremismus-Prävention zu betreiben ist. Es sollte für alle Bewerberinnen und Bewerbern staatlicher Einrichtungen geprüft werden, ob es Erkenntnisse beim Verfassungsschutz gibt.

Ich möchte nicht, dass Reichsbürger in den Polizeidienst eingestellt werden. Ich möchte aber auch nicht, dass sie meine Kinder unterrichten.

Wir müssen von Anfang an bei allen gründlich hinschauen und nicht nur eine Berufsgruppe diskriminieren. Die Abschottungstendenzen werden dadurch eher größer.

Redaktion: Trotz all der Risiken, was bereiten Ihnen Freude an der Polizei?

Rainer Wendt: Der Polizeiberuf ist für junge Leute häufig noch immer auf Platz eins der Berufswünsche. Das macht mich hoffnungsfroh. Ich habe sehr viel Kontakt mit jungen Anwärterinnen und Anwärtern von Polizeischulen und sehe wirklich großartige junge Frauen und Männer, die sich ernsthaft auf diesen Beruf vorbereiten. Sie denken alles andere als extremistisch sondern möchten einen Sinn stiftenden Beruf ausüben. Diese Leute geben mir den größten Optimismus.

Über unseren Experten

Rainer Wendt

Seit 2007 ist Rainer Wendt Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Geboren in Duisburg, schloss Wendt zunächst die Haupt- und Handelsschule ab. Über das Abendgymnasium erlangte er das Abitur und studierte an der Universität Duisburg sowie an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Duisburg. Vor seiner Zeit als Gewerkschafter war er viele Jahre selbst als Polizeibeamter tätig.

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